Die Wurzeln Ronsdorfs

Vom Bandwirkerdorf zur bergischen Industriestadt

Als sich im Jahr 1745 die ersten Bandwirkerfamilien rund um den idyllischen Marktbrunnen niederließen, ahnte niemand, dass hier einmal ein Ort entstehen würde, dessen Name mit textiler Innovation weit über das Bergische Land hinausstrahlen sollte. Getrieben von der Sehnsucht nach religiöser Selbstbestimmung und wirtschaftlicher Freiheit verließen die Reformierten der umliegenden Dörfer ihre angestammten Höfe, um auf der Höhe einen Ort zu gründen, in dem handwerkliche Fertigkeit und bürgerlicher Stolz eine bisher unbekannte Symbiose eingingen. Bereits in den Anfangsjahren prägten frei stehende Fachwerkhäuser mit integrierten Webstühlen das Stadtbild: In den Wohnstuben klapperten die Schäfte aus Buchenholz, während auf dem Herd Suppen köchelten und Kinder Versmaße lernten, die noch Generationen überdauernden. Diese enge Verflechtung von Arbeit, Glaube und Alltag schuf einen Gemeinschaftsgeist, der selbst härtesten Rückschlägen standhielt und den Ronsdorferinnen bis heute den Ruf unerschütterlicher Tatkraft verleiht.

Mit dem Bau der Ronsdorfer Talsperre 1899 erhielt die Stadt eine wassertechnische Infrastruktur, die für den nächsten Entwicklungsschub sorgen sollte. Zahlreiche Färbereien, Walkereien und Maschinenspinnereien siedelten sich im südlichen Tal an, wo das Gefälle der Gelpe ihre Turbinen antrieb. Die Dampfpfeifen der Firma E. Barmer & Sohn kündeten weit hörbar von einer neuen Zeit, in der der Rhythmus der Maschinen das traditionelle Bandwirkerlied übertönte. Gleichzeitig zog der Ausbau der Bergisch‑Märkischen Eisenbahn Arbeitskräfte aus Ostpreußen, Schlesien und dem Rheinland an, was Ronsdorf in einen lebendigen Schmelztiegel kultureller Einflüsse verwandelte. Die Kirchturmspitzen erhoben sich über plötzlich dicht bebauten Straßenschluchten, in denen Tabakgeruch, Kohlenstaub und der unverkennbare Odeur frisch gefärbter Bänder eine ganz eigene urbane Duftkomposition bildeten. Trotz aller Prosperität blieben aber auch Schattenseiten nicht aus: Kinderarbeit, Wohnungsnot und erste Umweltprobleme warfen Fragen auf, die den Stadtrat in hitzige Diskussionen stürzten und den Nährboden für die spätere Arbeiterbewegung bereiteten.

Die beiden Weltkriege rissen schmerzhafte Lücken in die soziale Struktur Ronsdorfs. Während 1918 noch festliche Umzüge die heimkehrenden Soldaten begrüßten, herrschten nach 1945 Trümmer, Trauer und Entbehrung. Doch erneut zeigte sich die unbändige Resilienz der Bevölkerung: In gemeinschaftlichen Aufräumaktionen entstanden Notunterkünfte, Feldküchen und schließlich die berühmte „Trümmer‑Weberei“, in der aus erbeuteten Militärdecken neue Stoffe für den Handel gefertigt wurden. Der Wiederaufbau wurde zum kollektiven Kraftakt, an dessen Ende eine moderne Mittelstadt stand, die in den 1970er‑Jahren nach Wuppertal eingemeindet wurde, ohne ihre Identität zu verlieren. Heute lässt sich dieser Wandel an den liebevoll restaurierten Bandwirkerhäusern und den sanierten Industriehallen ablesen, in denen Start‑ups genauso zuhause sind wie Kunstschaffende. Wer aufmerksam durch die Gassen geht, hört noch immer das Echo der Webstühle, spürt den Stolz der Bandwirker und entdeckt ein Stadtbild, das Vergangenheit und Gegenwart in einzigartiger Weise miteinander verwebt.